Ban­din­ter­vi­ew: Wirfürwen

30.04.2016
Musikvideo und Interview mit Wirfürwen

Entrevista

Moin, Männer! Fünf Jahre nach dem letzten kommt ein neues Album: BREMS DAS KARUSSELL. Fünf Jahre sind eine Ewigkeit im überall und jederzeit verfügbaren Pop- und Rockkosmos. Was war der Grund für eine so lange Auszeit?

WIRFÜRWEN: Erstmal großes Lob dafür, dass wir als Bremer auch von Berlin mit "Moin" begrüßt werden! Sauber! Aber "Auszeit" trifft es in unserem Fall doch nicht ganz. Wir arbeiten als Band permanent. Proben und live spielen ist immer angesagt. Das letzte Album ist nun fünf Jahre her, weil Songs bei uns einen Reifeprozess durchlaufen. Sie müssen es erstmal vom Proberaum ins Live-Set schaffen und sich dort dann beweisen. Songs auf einem wirfürwen-Album sind zumindest zu einem Großteil also live geprüft. Das unterscheidet uns sicherlich von anderen Bands, die dann auch schneller Alben raushauen können. Wir wollen aber ungern Zeit, Geld und Kraft in eine Platte stecken und dann auf Tour merken, dass die Songs gar nicht vor Publikum funktionieren.


Wie kam es zum Albumtitel? Welches Karussell dreht sich eurer Meinung nach zu schnell und Bedarf einer Entschleunigung? Der Mensch im Hamsterrad der globalen Entwicklungen? Der Kreislauf von Konsum, Wegwurf und Neuanschaffung? Der tödliche Kreislauf der Umweltzerstörung? Sagt eure Meinung!

WIRFÜRWEN: Auch beim zweiten Album lieferte eine Song-Zeile den Albumtitel, nämlich aus "Wird dich nicht los". Es freut mich sehr, dass Du selbst schon das Wort "Entschleunigung" nennst. Genau diese Assoziation wollten wir mit dem Albumtitel erreichen. Wie auch viele Texte von unserem Sänger Daniel lässt sich dann aber auch der Albumtitel für jeden selbst und neu interpretieren. Du nennst ja schon einige passende Beispiele, auf die er anwendbar wäre. Für uns ist es vor allem gemünzt auf die digitale Welt, in der wir mittlerweile leben. Daher auch der Look des Globusses auf dem Cover. Ich konnte an mir selbst feststellen, wie zum Beispiel das Checken der Facebook-News-Timeline zu einer Art Sucht werden kann und kostbare Zeit eines jeden Tages verschlingt. Und auch wir als Band können uns dem ja nicht entziehen: Wir sind quasi gezwungen fast täglich Inhalte zu liefern, um "relevant" zu werden, zu bleiben oder überhaupt zu sein. Das soll jetzt nicht so rüberkommen, als sei das eine Qual für uns, aber es nimmt mittlerweile einfach einen großen Teil unserer Zeit als Band ein, sich über Fotos, Webauftritte, Posts etc. Gedanken zu machen und einig zu werden. Da vermisst man manchmal schon ein wenig die "gute alte Zeit", in der man als Band einfach "nur" Musik gemacht hat.


Zwölf Tracks präsentiert euer neues Werk. Wie seid ihr an die Tracks heran gegangen?

WIRFÜRWEN: Da gibt es bei uns mittlerweile unterschiedliche Herangehensweisen. Daniel beschäftigt sich seit Jahren schon mit Home-Recording und kann dadurch Songs komplett vorproduzieren und uns dann in einem möglichen Gesamtklang präsentieren. So war es zum Beispiel auch bei "Gute Zeit". Das kann der Idee natürlich auch noch mehr Überzeugungskraft einflößen. Oft entstehen Songs bei uns aber auch dadurch, dass einfach einer von uns ein Riff oder einen Beat hat und wir anfangen darauf zu jammen. Daniel singt dann erstmal Kauderwelsch drüber, um Melodien zu finden. So erarbeiten wir uns gemeinsam den Song mit seiner Struktur bis alle zufrieden sind.


Zunächst waren wir sehr happy: auf Amazon lassen sich sämtliche Tracks des neuen Albums vorab hören, aber diese lieblos editierten Snippets von 30 Sekunden in einer lausigen Qualität von 64 kBit/s (oder darunter!), sind nicht gerade das Monster-Verkaufsargument, das müssen wir hier in aller Deutlichkeit sagen. Musik im Jahre 2016, mit kostenlosen Probe-Abos der Streaming-Dienste von bis zu drei Monaten, sollte anders klingen. Wie seht ihr das?

WIRFÜRWEN: Da können wir erstmal beruhigen: In erster Linie sind wir froh, dass das Album bereits jetzt schon bei Amazon gelistet ist und vorbestellt werden kann, einen Monat vor Release. Das digitale Listing ist aber noch nicht erfolgt. Sobald das von Amazon-Seite passiert ist, werden auch die Previews dort in bester Qualität verfügbar sein, wie auch bei unserem letzten Album "Soweit alles gut". Für kostenlose Streaming-Dienste brauchen wir allerdings kein Verkaufsargument. Sie sind ja kostenlos. Und sollte dort dann die Qualität geringer sein, dann muss das der Konsument aus meiner Sicht in "Kauf" nehmen. Die Geschichte vom geschenkten Gaul und so. Wir selbst sind aber auch noch Kinder der CD. Mit diesem Medium sind wir aufgewachsen. Auch im ganzen Artwork, das Christel Freese erarbeitet hat, steckt so viel Liebe, dass wir jedem empfehlen würden, sich auf jeden Fall das Album in CD-Form zuzulegen. Als Monster-Verkaufsargumente sollen dann vor allem auch unsere Musikvideos fungieren.


BREMS DAS KARUSSELL erscheint wieder auf Timezone Records, einem äußerst aktiven und umtriebigen Indie Label aus Osnabrück. Welche Hoffnungen verknüpft ihr mit dem zweiten Album auf dem Label?

WIRFÜRWEN: Die Leute bei Timezone sind einfach herzensgute und ehrliche Menschen. Sie versprechen einem nicht das Blaue vom Himmel. Wir tauschen uns regelmäßig aus und wissen voneinander, was machbar ist und was nicht. Wir wissen, dass Timezone voll und ganz hinter uns steht und alles in ihrer Macht stehende tun wird, um mit uns gemeinsam dieses Album so weit wie möglich nach vorne zu bringen. Natürlich ist uns aber auch bewusst, dass es nicht die großen Hebel eines Majors sind, aber das hat für uns als Musiker ja auch Vorteile. Wir sind völlig frei in Gestaltung von Musik und Artwork. Timezone vertraut uns da und das wissen wir sehr zu schätzen. Gerald hat das Label damals gestartet. Mal ehrlich, wer stellt sich denn heute noch hin und sagt: "Ich ernähre meine Familie mit einem Musiklabel!"? Da gehören schon große Portionen Überzeugung, Leidenschaft und Mut dazu. Und sowas steckt einfach an. Und es freut mich riesig, dass es im Hause Timezone so gut funktioniert! Für das Album hoffen wir ganz einfach, dass es so viele Leute wie möglich hören werden, denn wir glauben, dass es das verdient hat.


Gibt es Erfahrungen aus der Zeit von SOWEIT ALLES GUT (2011), die ihr nicht unbedingt ein zweites Mal machen wollt?

WIRFÜRWEN: Puh, das ist eine wirklich schwere Frage, denn ich denke, dass wir alle sehr positiv auf diese Zeit zurückblicken. Es war unsere erste Albumveröffentlichung. Dazu eine tolle Tour und ein großartiger Festivalsommer mit Gigs auf dem Deichbrand und dem Area4. Das war schon traumhaft. Aber für mich, der sich bei uns ja viel mit dem Booking beschäftigt, war sehr ärgerlich, dass ein Gig auf der Tour am Morgen des Konzerts telefonisch abgesagt wurde. Das drückt natürlich auf die Stimmung. Man muss umorganisieren etc. Das muss ich auf der kommenden Tour natürlich nicht ein zweites Mal erleben.


Mit wem habt ihr das Album in trockene Tücher bekommen?

WIRFÜRWEN: Produziert hat das Album Uli Wortmann in seinem Farida Studio in Osterholz-Scharmbeck. Wir kannten ihn bereits flüchtig aus seiner Zeit bei den Kleinstadthelden und auch ein paar seiner Produktionen und wollten unbedingt mal mit ihm arbeiten. Zunächst haben wir uns einfach mal für einen Abend zu einer Live-Recording-Session getroffen, um ihm mal ein paar Songs vorzuspielen, damit er einen Eindruck von unserem Material bekommt. Allein von diesen Mitschnitten, die er da gemacht hat, waren wir Sound-technisch schon begeistert. Es hat quasi direkt gefunkt, auch menschlich. Von da an war für uns klar, dass wir mit ihm dieses Album aufnehmen wollen. Den Vorgänger haben wir ja mit Jens Krause in Hannover aufgenommen, der auch aufnahmetechnisch einen Song zu "Brems das Karussell" beigesteuert hat. Auch bei Jens haben wir uns immer super wohlgefühlt. Die Chemie muss einfach stimmen, das ist uns sehr wichtig. Nun war es eben an der Zeit wieder etwas Neues auszuprobieren und es hat sich definitiv gelohnt.


Auf welchem Equipment habt ihr euren poppigen Rock eingespielt?

WIRFÜRWEN: Das Drum-Set war bewusst genau das, was ich auch live benutze: Pearl Export Series Toms und Bass Drum, Mapex Black Panther Snare und bei den Becken die Zildjian K-Serie und das "Trash" Oriental China. Es sollte im Vergleich zum letzten Album dieses Mal ein grundsätzlich einheitlicher Drum-Sound sein, der nah an dem ist, was das Publikum dann auch live zu hören bekommt. Aber natürlich abgestimmt auf den jeweiligen Song. Jörg hat die Basslines hauptsächlich mit einem Fender Jazz Bass eingespielt. Die Tasten kommen von einem Kawai Mp5 Stage Piano. Dort haben wir dann aber auch viel mit Midi-Sounds ausprobiert. Die Klavierparts wurden aber standesgemäß an einem Steinway Flügel eingespielt. Torben hat die Fender Jazzmaster über den Line 6 Vetta II eingezockt. Diesen haben wir seit unserem Endorsement bei Line 6, das wir 2010 über den sogenannten "Line 6 Live Award" gewonnen haben. An Effekten benutzt er vor allem Boss Od-1, dd-7 und ch-1. Und das Dunlop Crybaby. Daniel spielt eine Düsenberg Starplayer über das Line 6 M13. Für die Gesangsparts, die er zum Teil auch selbst produziert hat, nutzte er das Röhren Mikrofon Hitec Audio. Seine Mundharmonikas sind die Big River Harps von Honer.


Nun steht im März eine Tour an, zehn Gigs in elf Tagen. Ganz schön stramm das Programm! Freude pur oder notwendige PR-Aktivität?

WIRFÜRWEN: Och, beim letzten Mal waren es 15 Konzerte an 16 Tagen, von daher für uns ein lockereres Programm. Nein, aber auch zehn Gigs mit nur einem Off-Day sind natürlich anstrengend. Wir haben ja keine Crew dabei, die unsere Sachen schleppt und für uns aufbaut. Und gerade für Daniels Stimme ist das auch eine recht anständige Belastung. Aber er passt da schon gut auf. Man lernt von Tour zu Tour. Aber so richtig auf Tour waren wir ja zuletzt mit Release von "Soweit alles gut". Und das ist ja, wie bereits besprochen, schon etwas her, daher überwiegt auf jeden Fall die Vorfreude! Denn wenn wir etwas "Tour" nennen, dann soll es das auch wirklich sein und nicht "nur" ein paar Wochenend-Gigs. Ein Off-Day ist okay, aber bei mehr kann man auch gleich wieder nach Hause fahren. Das ist es doch, worum es geht: Unterwegs zu sein mit seiner Musik. Da können wir dann für zwei Wochen mal alle hauptberuflich Musiker sein. Was Schöneres gibt es nicht. Aber natürlich dient es auch der PR für das Album, klar. Wir wollen den Leuten die neue Scheibe präsentieren und sie dürfen sie dann gerne mit nach Hause nehmen.


Und was macht ihr nach der Tour? Geht ihr in die Uni? Versorgt ihr mit euren Jobs die Familie? Lebt ihr in den Tag hinein?

WIRFÜRWEN: Bei den letzten Touren waren wir noch alle vier Studenten. Zeittechnisch hatte das natürlich große Vorteile. In der Festlegung des Tour-Zeitraums waren wir viel weniger eingeschränkt. Aber in den letzten Jahren ist natürlich viel passiert. Mittlerweile haben wir einen Vater, zwei Ehemänner und drei Berufstätige in der Band. Daraus lässt sich schließen, dass der Koordinationsaufwand größer wird. Und nach der Tour gehen wir dann wieder an die Arbeit bzw. die Uni. Unser Bassist Jörg ist bei uns der Einzige, der die Musik zum Beruf gemacht hat. Er hat Klavier studiert, gibt Unterricht und hat noch weitere Projekte.


Euer aktueller Clip "Gute Zeit" ist eine Hymne an die Kraft der Erinnerung, mit Videoaufnahmen von 2004 bis heute. Der Refrain könnte auch in einem Stadion von 10.000 heiseren Kehlen mitgesungen werden. Welches Archivmaterial sehen wir da genau?

WIRFÜRWEN: Oh, das freut mich sehr, das als alter Stadion-Rock-Fan zu hören! Das Thema des Songs wurde von Jan-Malte Enning im Musikvideo perfekt umgesetzt. Er hatte bereits unser Video zu "Auf der Suche" gemacht, von daher wussten wir, dass es wieder super wird. Wir haben großes Glück solche Überzeugungstäter an unserer Seite zu haben! Die aktuellen Szenen hat er mit uns im Farida Studio aufgenommen, wo ja auch das Album produziert wurde. Beim Archivmaterial sind sogar Szenen von 2001 dabei. In dem Jahr haben wir in dieser Konstellation angefangen zusammen Musik zu machen. Da sind Szenen aus unserem ersten Proberaum, was einfach nur der Keller meiner Eltern war. Bis heute ist mir nicht klar, wie meine Familie diesen Lärm ertragen hat. Auch Bilder von unserem allerersten Auftritt sind dabei. Der fand im Wohnzimmer eines Kumpels statt, dessen Eltern verreist waren, weswegen er eine große Party geschmissen hat. Er war quasi unser erster Veranstalter. Man sieht uns also mit 16, 17 Jahren. Ein Freund, der schon einen Führerschein hatte, hat uns damals in seinem Renault Clio mit zu den Auftritten genommen. Bis nach Halle an der Saale sind wir gefahren, um dort auf dem Laternenfest zu spielen. Zu fünft im Auto mit dem ganzen Equipment. Wir können uns heute nicht mehr erklären, wie das damals geklappt hat. Aber es war eine verdammt gute Zeit.


Wird es weitere Clips zum Album geben?

WIRFÜRWEN: Ja, auf jeden Fall! Wir wollten in diesem Stil unbedingt noch ein weiteres Video machen, um unsere 15 gemeinsamen Jahre noch weiter zu feiern. Der Song dazu ist "Ja klar". Wir hatten und haben einfach wirklich eine echt gute Zeit miteinander und finden, dass die Videos und die Musik das zusammen gut transportieren. Dann soll es aber auch gut sein mit den alten Bildern. Zum Album-Release wird es noch ein drittes Video geben und zwar zum Song "Lieben uns still". Macher dahinter ist Stefan Malschofsky, der schon unser Video zu "Liebe/Kabale" gemacht hat, also wieder ein Überzeugungstäter. Die Bilder dazu wurden Anfang Januar gedreht und werden daher "etwas" aktueller sein.


Ein paar "last famous words" von WIRFÜRWEN ;-)

WIRFÜRWEN: Ich hab mal gehört, dass Marlene Dietrichs letzte Worte in etwa gewesen sein sollen: "Wir wollten alles, und wir haben es bekommen, nicht wahr?" Wir wollten auch immer alles. Das Spannende ist letztlich die Definition von "alles". Durch diese Band haben wir so viele unglaublich tolle Dinge erlebt, dafür sind wir einfach dankbar und hoffen, dass diese Reise noch lange nicht zu Ende ist. Mensch, das war jetzt ganz schön dick aufgetragen, oder? Aber das wird nach all den Jahren nun auch mal ok sein :-)


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