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Clubsterben 2.0 – Warum sich die Szene neu erfinden muss

Clubsterben 2.0 – Warum sich die Szene neu erfinden muss

Kommentar zur Clubszene von Dirk Duske

Als sich Mitte September die Meldung verbreitete, dass das berühmte Watergate in Berlin nach 22 Jahren zum Jahresende dicht macht, musste man erstmal schlucken. Durch steigende Kosten und rückläufige Besucherzahlen aufgrund einer wegbrechenden Generation stand den Betreibern das Wasser bis zum Hals.

Aber nicht nur bei der Location an der Spree kriselt(e) es. Denn auch außerhalb der Party-Hauptstadt Nummer beklagt die Clubszene mangelndem Zuspruch. Aber wie ernst ist die Lage tatsächlich und muss sich ein DJ um die Gigs von morgen sorgen?

DJ Meme

 

Ein Blick zurĂĽck

Wie auch in der Wirtschaft geht es im Clubgeschäft volatil zu. In den 1970er und 1980ern schossen Discotheken wie Pilze aus dem Boden. Schließlich galten sie als das Mekka zum Feiern und Baggern. DJs lieferten den Soundtrack aus Funk, Soul und Disco, der dem Mainstream immer ein bisschen voraus war. Denn die Plattenaufleger wurden von der Plattenindustrie bemustert, um die neuesten Veröffentlichungen zu testen.

Kam dieser beim Publikum sehr gut an, war der Clubhit geboren, der als solcher vermarktet wurde. Mit der Entstehung von Dance-Music in den 80ern, vorangestellt Hi-NRG, dem Nachfolger von Disco, später House-Music, Techno und EBM, die kaum Relevanz im Radio fand, aber dafür verstärkt von den DJs aufgelegt wurde, entpuppte sich die Discothek als Keimzelle einer neuen Subkultur.

DJing

Denn selbst eine „Kommerz-Disko“ wie das Dorian Gray öffnete sich mit einem speziellen Veranstaltungsformat, dem Technoclub, einer neuen Zielgruppe, wodurch es bis heute als Kult gilt.

Mit der Wende erfand sich die Clubkultur neu, vor allem Ost-Berlin profitierte von ungeklärten Eigentumsverhältnissen und resignierten Wachorganen. Zudem eröffneten Großraumdiscotheken allerorts, die drei Tage oder mehr in der Woche florierten. N

ach den Goldgräberzeiten holten ab Mitte der 2000er die geburtenschwachen Jahrgänge sowohl Betreiber als auch die DJs auf den Boden der Realität zurück. Denn nicht nur die Anzahl der Öffnungstage schrumpfte, sondern generell auch die der Discotheken und Clubs. Davon erholt, sorgt(e) die Corona-Pandemie mit ihren Folgen für weitere Schließungen, wie eben das Watergate.

DJing

Denn durch die Corona-Zeit und die Zwangsschließung der Clubs beschäftigte sich die zum ausgehfähigen Alter heranwachsende Generation gezwungenermaßen anderweitig und vermisste das Clubbing kaum, was bis heute anscheinend so geblieben ist?!

 

Die wirklichen Ursachen der kränkelnden Clublandschaft

Da mittlerweile jegliche Musik durch Streaming, Sparten-Radiosender, YouTube etc. fĂĽr jeden ĂĽberall verfĂĽgbar ist, hat die Vorreiter-Funktion des DJs ausgedient. Der DJ kann dem Publikum nichts mehr vormachen, denn der Gast ist mitunter mehr auf dem Laufenden als der Aufleger.

Bei lokalen Partys interessiert es nicht immer, wer den Abend musikalisch bestreitet, sondern eher was läuft und welche Preis- oder Entertainment-Aktionen im Spiel sind.

DJ meme

Hingegen achtet man bei Festivals schon noch darauf, wer das Line-up bestreitet und wie die Shows in Perfektion in Einklang mit Visuals spielen. Allerdings kann man sich nicht mehr sicher sein, ob – beziehungsweise was – eigentlich wirklich live gespielt wird.

Dagegen DJs wie Sven Väth, der nach wie vor in klassischer DJ-Manier Vinyl mit den Technics SL-1210MK7 samt Allen&Heath X:One92 auflegt, stehen für Skills, die Tracks auch mal länger als eine Minute gespielt werden und die nicht ständig von der hyperaktiven Effekthascherei unterbrochen werden.

Technics SL-1210 MK 7

Technics SL-1210 MK 7

In Berlins ehrwürdigen Techno-Clubs schätzt man dieses Auflegen. Die per Kurzflug aus Europa angereiste Klientel macht sich aber zunehmend aufgrund eines neuen Umweltbewusstseins aus dem Staub.

Allen & Heath Xone:92 MK2

Allen & Heath Xone:92 MK2

Auch dank Tinder & Co. hat der Club als Kontaktbörse ausgedient. Es ist doch bequemer und anonymer, sich vom Handy zu daten, als auf einer Party nach einer persönlichen Konversation eine Abfuhr zu kassieren.

 

Neue Besen kehren nicht immer gut

Die Club-Kultur wird nie aussterben, aber sich stets den Bedürfnissen der Gäste anpassen müssen, mitunter auch neu erfinden. Dabei wird leider auch manche Location auf der Strecke bleiben, wenn sie sich konsequent einer Musikrichtung verschreibt und einer Zielgruppe widmet.

Schließlich widerspiegeln bestimmte Musikstile den aktuellen Zeitgeist, die morgen schon in der Mottenkiste landen können. Denn ob in zehn Jahren noch Deutsch-Rap oder Hyper-Techno in dieser Präsenz angesagt sind, ist fraglich?!

DJing Club

Dennoch bedeuten ein Umbau und die neue konzeptionelle Ausrichtung nicht der Rettungsring vor dem Untergang. Im Fall des Watergate hätte dies wohl weniger genützt als geschadet. Man sollte großen Respekt davor haben, dass sie nicht „ihre Seele verkauft“ haben und lieber die Schließung in Kauf nahmen. Schließlich wird das Label weiter betrieben und ein derartiger Abgang bietet die Option, unter gleichen Namen an den Erfolg in einer anderen Location anzuknüpfen.

Bereits 2012 ereilte den Frankfurter Cocoon Club nach acht Jahren die Schließung. Sven Väth als Begründer als Schirmherr musste sich eingestehen, die Frankfurter Techno-Szene kann keinen Club dieser Größe regelmäßig füllen. Mittlerweile gibt es bereits den dritten Betreiber der Location.

DJing

Ich musste in den letzten 40 Jahren meiner DJ-Tätigkeit schon etliche Clubschließungen erleben, bei denen einfach der Lack ab war. Selbst mit neuem Namen, neuen Betreiber blieben die Gäste aus, denn die Locations waren in diesem Fall einfach verheizt.

 

Und was ist das Ende vom Lied?

Noch nie war es so einfach, DJ zu werden. Bis in die 2000er Jahre entschied zunächst ein großes Startkapital für den Kauf der Schallplatten, Plattenspieler und Mixer, dazu der Ehrgeiz, sich mühselig die Skills autodidaktisch beizubringen, darüber, ob man DJ werden konnte. Heute zählen vielmehr das Talent, aber auch die Anzahl der Follower auf Instagram & Co. Technik und Musik sind erschwinglich geworden.

Da die ständig wachsende Gilde an DJs schon immer Macher hervorbrachte, die selbst Partys veranstalten beziehungsweise auch Locations eröffnen und betreiben, wird sie die Club-Kultur am Leben erhalten und bereichern. Aber auch die Gäste, die den Spaß am gemeinsamen Feiern nicht verlieren, von einer druckvollen PA beschallt und vom DJ musikalisch geführt werden möchten, sorgen für die Kontinuität in einem doch dynamisch zyklischen Geschäft.

Sicher ist, dass wir auch zukünftig spannende Zeiten erleben werden. Irgendwann werden Clubs um 360 Grad mit Content bespielbar sein. Wer weiß, welche Rolle die künstliche Intelligenz dabei einnehmen wird. Das Clubbing könnte mehr zum visuellen Happening im Einklang mit der Musik avancieren. Aber egal, aus welchem Grund, man den Club besucht, es wird sich auch morgen noch lohnen.

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